Montag, 24. Dezember 2007

24. Dezember (Tatsächlich: Zur Besinnung)

Blogs werden ja des Ö€“fteren als Plattformen zur Veröffentlichung von tagebuchähnlichen Einträgen verwendet. Nun bin ich zwar weit davon entfernt, Einträge über meine Toilettengänge und Mahlzeiten zu schreiben. Trotzdem hat mich überrascht, mit welcher Wucht mich der heutige Arztbesuch getroffen hat. In dem Sinne eines sich plözlich (ein wunderschönes Wort, wo ich es schreibe fällt mir auf, dass ich es schon lange nicht mehr verwendet habe), ja, im Sinne eines sich plötzlich erweiternden Bewusstseins darüber, wieviele Dinge mir das Leben ermöglicht.
Ich schreibe jetzt also ein paar Sätze aus der Ich-Perspektive. Ist es nicht unglaublich: Wenn mir etwas wehtut, dann laufe ich ein paar Meter und treffe auf eine entsprechende Praxis, in der mir geholfen wird. Kann ich nicht laufen, setze ich mich in einen Bus oder in die Bahn. Will ich nicht laufen, auch. Habe ich Lust darauf, zu lesen, gehe ich in eine Bibliothek. Möchte ich reisen, steht es mir frei, fast alle Orte dieser Welt aufzusuchen. Ist mir der Sinn danach, nichts zu tun: So tue ich nichts.
Sicherlich, es gibt bei alledem diese und jene Einschränkungen: Befinde ich mich in einer ländlichen Gegend im Wald, kann ich wohl lange laufen, bis ich auf eine Arztpraxis treffe. In der tiefsten Nacht fährt vielleicht kein Bus; Lokführer können auch tagsüber streiken; ich muss mitunter Geld verdienen oder zumindest besitzen, um reisen und leben zu können. Aber viel davon braucht es nicht (Ermöglicht nicht gerade die Entwicklung der heutigen Welt so sehr wie noch nie, ganz Neues auszuprobieren, auch wenn man lange etwas ganz anderes gemacht hat, sich einer Sache zu widmen, die man für richtig hält, auch wenn sich die Interessen ändern?). Und sollten alle Stricke reisen, habe ich immer noch meine Freunde, meine Eltern, Geschwister, die zuhören und helfen können. Ich lebe in großem Luxus. Mir stehen unglaublich viele Möglichkeiten offen. Es ist wohl niemals ganz zu spät, wage ich allgemein zu sagen.
Und jetzt verlasse ich meine rein subjektive Perxpektive. Manchmal hilft es vielleicht, sich zu vergegenwärtigen, was man denn eigentlich alles hat. Wir tun es nur selten. Unsere Haut verlassen, das zumindest versuchen: Sich, mit seinen ganzen Gedanken zu sich, seinen Hoffnungen und Ö€žngsten. Das ist unermesslich wertvoll, weil es uns eröffnen kann, wie wertvoll unser Leben, das Leben jedes Einzelnen überhaupt ist. Damit streifen wir den Geruch des Egoismus ab, welcher möglicherweise zuerst einmal beim Lesen dessen entstand, was ich oben aus meiner Perspektive geschrieben habe.
Offen für anderes und andere zu sein ist uns erst möglich, wenn wir mit uns etwas anfangen, uns leiden und akzeptieren können. Uns sollten wir die größte Aufmerksamkeit entgegenbringen, damit wir über uns hinausgehen können. Tolstoi hat dafür in seiner Erzählung “Herr und Knecht” ein beeindruckendes Bild gefunden.
Der Herr eines Hofes, Wassilij Andrejitsch, zieht zusammen mit seinem Knecht Nikita in schneestürmendes Nacht los, um den Kauf eines Waldstückes zu besiegeln. Der Schlitten wird von einem kräftigen Pferd namens Muchortyj gezogen. Nun erschwert der Schneesturm nicht nur das Vorankommen beträchtlich, sondern auch die Orientierung. Das Gespann gerät vom Weg ab, sie finden nicht mehr zurück. Von den Kräften verlassen, entschließen sie sich irgendwann, die Nacht inmitten dieses Sturmes zu verbringen. Der Herr bettet sich im Schlitten, der Knecht Nikita davor. Schnell verlässt Wassilij Andrejitsch jedoch die Geduld, er steigt auf das Pferd und reitet eigensüchtig und selbstgerecht los, seinen Knecht Nikita zurücklassend, ahnend, dass dieser sterben würde. Andrejitsch scheitert, der Schneesturm zwingt ihn, zurückzukehren. Völlig entkräftet lässt er sich auf Nikita nieder, der sich in den Schlitten gelegt hat und zu erfrieren droht. In diesem Moment erkennt der Herr nicht nur, dass es falsch war, sein Leben lang dem Geld nachzujagen, sondern auch, nur auf sich selbst zu schauen. Er öffnet seinen Mantel, von dem Wunsch beseelt, Nikita zu wärmen und am Leben zu halten. Nikita überlebt, sein Herr aber stirbt, seelig: “Nikita lebt, sagte er sich triumphierend, also lebe auch ich.” (67)
So endet mein kleiner Blog-Adventskalender. Mit dem Hinweis auf eine kurze Zeit zur Besinnung, zum Zurücktreten hinter das, was man tut, und betrachten, oder auch einmal zum ganz unangestrengt genießen. Auch in diesem Sinne, bis bald.

Sonntag, 23. Dezember 2007

23. Dezember (Mären)

Mit unserem Wissen ist es ja oft so eine Sache. Der eine behauptet beispielsweise, er wisse, dass etwas der Fall ist, und der andere behauptet, genau das sei nicht der Fall. Schon haben wir einen handfesten Streit. Glücklicherweise ändert sich zumindest im Allgemeinen unser Umgang mit solchen Konflikten mit zunehmendem Alter. Was darüber jedoch gerne vernachlässigt wird: Dass man das Streitbare selbst versucht, klarzustellen, und neben den Behauptungen, was der Fall ist, schaut, was tatsächlich der Fall ist.
Ein bisschen in die Bresche springt ein SPIEGEL-ONLINE-Artikel. Er klärt einige Irrtümer auf, die sich noch heute hartnäckig halten.

1. Mär: 2 Liter Wasser pro Tag
Ein erstes Beispiel: Der Mensch brauch zwei Liter Wasser am Tag. Erst einmal ist offensichtlich, dass so eine allgemeine Behauptung allenfalls als Daumenregel aufgefasst werden kann. Jemand, der den ganzen Tag durch die Wüste stolpert, sollte sicherlich mehr als 2 Liter Wasser zu sich nehmen. Aber wieso Wasser? Flüssigkeit! Das ist der Hauptirrtum in dieser Behauptung. Eine grobe Richtschnur ist nicht, pro Tag ca. 2 Liter Wasser zu sich zu nehmen, sondern ganz allgemein Flüssigkeit. Und die ist auch in Lebensmitteln wie Obst und Gemüse enthalten, aber selbstverständlich auch in Milch oder Saft (so naheliegend das ist, so eindeutig fallen Saft und Milch nicht in die Kategorie “Wasser”).

2. Mär: Nutzung unserer Hirnkapazitäten
Eine weitere Mär: Wir nutzen nur zwischen 10% und 25% unserer Hirnkapazitäten. Es fragt sich: Wie kann man eine solche Behauptung belegen? Fakt ist, dass es keine Bereiche in unserem Hirn gibt, die keine Funktion haben, also allenfalls Zierde sind. Man könnte einwenden, dass die Kapazität gerade im Zusammenspiel und der Vernetzung der einzelnen Hirnbereiche als noch nicht ausgeschöpft angesehen werden könne. Allerdings ist damit noch nicht gesagt, woher man den 100%-Wert nimmt, der ja als Maß nötig ist, um festzustellen, welchen prozentualen Anteil, also 10% oder etwa 25%, wir heute davon nutzen. Ganz abgesehen davon scheint es mir äußerst fraglich, ob sich so etwas überhaupt quantifizieren lässt…
Vielleicht kann man vor diesem Hintergrund nicht sagen, dass es sich um eine Mär handelt. Das nämlich setzte voraus, dass wir die Falschheit der Behauptung erweisen können. Derzeit ist es allerdings nur nicht möglich, die Behauptung hinreichend zu belegen.

3. Mär: Zusammenhang Rasur-Haarwuchs
Sicherlich ist auch folgende Mär nicht unbekannt: Je öfter man sich rasiert, desto schneller, dicker und dunkler wachsen Haare nach. Das ist falsch. Allerdings trifft zu, dass der Haarwuchs bei Männern bis zu einem gewissen Alter zunehmend dicker, dunkler und dichter ausfällt – ganz unabhängig davon, ob man sich (viel) rasiert oder nicht.

4. Mär: Lesen im Dunkeln ist schlecht für die Augen
Schließlich noch ein Letztes: Lesen bei dunklem Licht verdirbt die Augen. Das ist nicht so, jedoch werden die Augen rascher ermüdet. In diesem Zustand kann es dann vorkommen, dass Buchstaben verschwimmen, wir sie also nicht mehr unmittelbar scharf sehen. Das Lesen bringt uns in diesem Fall ziemlich wenig, da wir uns dem Text nicht mit ganzer Aufmerksamkeit widmen können. Es ist daher ratsam, dass der Text , den man liest, gut ausgeleuchtet ist.
Dazu eine kleine Anmerkung: Das spricht für Bildschirmlesen im Allgemeinen (Bildschirme sind vergleichsweise sicherlich meist gut ausgeleuchtet) und für meinen Blog im Speziellen (zumindest unter anderem/n: Schwarzer Text auf hellem weißem Hintergrund!).

Quelle:
Hartnäckige Irrtümer: Mythen, an die selbst Mediziner glauben” auf SPIEGEL ONLINE

Sonntag, 16. Dezember 2007

Reflektionen zur Werbung

16. Dezember (Werbung)

Werbung, sie ist allgegenwärtig. Im Fernsehen, auf Lein- und Plakatwänden, in Zeitungen bis hin zu den Produkten, die wir nutzen. Auch sie werben, wenn natürlich nicht nur, ebenso wie mitunter Zeitungsartikel und Dokumentationen, wenn natürlich nicht nur. Auch ich möchte an dieser Stelle noch einmal für den gestrigen Artikel werben, natürlich (nur), weil er thematisch zu diesem Artikel passt. Aber das ist nur eine Empfehlung! Ihr könnt, ihr dürft sie ignorieren! Freie Entscheidung!

Das Problem der Werbetreibenden, …
Also, weiter: Werbung wird natürlich gemacht, um Interessenten für Produkte zu gewinnen, die sonst nicht auf die jeweiligen Produkte aufmerksam geworden wären. Sie kann also nur dann lohnend sein, wenn sie wahrgenommen wird. Weil wir als Konsumenten im Alltag oft mit Werbung konfrontiert werden, verstehen wir uns jedoch ganz gut darauf, sie auszublenden. Das funktioniert dann besonders einfach, wenn ihre Präsentation immer wieder bestimmte Formen einhält und an einschlägigen Orten vorkommt, und wenn sie damit vom Rest drumherum abgrenzbar ist. So überlesen wir mit Bildern gestaltete Werbeanzeigen in Zeitungen und übersehen sie auf Internetseiten, wenn wir es nur darauf abgesehen haben, Textblöcke zu lesen. Wir übersehen Plakatwände, suchen wir nach Hausnummern und Straßennamensschildern. Und wir stellen einen anderen Fernsehsender ein, wenn die Werbeunterbrechung anfängt.

… ihr Umgang damit …
Nun ist das natürlich nicht im Interesse der Werbetreibenden. Es wird versucht, weiterhin die Aufmerksamkeit auf das Werbemedium und insbesondere die Werbebotschaft zu lenken. Wir sollen für sie nicht nur empfänglich sein, wenn wir nach Schönem suchen und dabei selbst vor Werbung nicht halt machen, das beworbene Produkt schon besitzen, oder nur in einem Anflug von Langeweile, Müßiggang oder auch wissenschaftlichem Interesse. Welche Wege gehen die Werbetreibenden, um unsere Aufmerksamkeit zu erhaschen?
Sie bleiben den klassischen Werbeformen durchaus treu (deren Vorteile sind ja durchaus groß: Hoher Verbreitungsgrad, vorhandene Infrastruktur, überschaubare Kosten, etc.): Es wird eine Werbeanzeige in der Zeitung oder auf einer Internetseite geschaltet, dabei beispielsweise allerdings versucht, sie den umgebenden Informationen und ihrer optischen Aufbereitung möglichst ähnlich erscheinen zu lassen. Googles AdWords-Konzept scheint u.a. auf dieser Idee zu beruhen, mittlerweile eine ziemlich dominante Werbeform im Internet. Ein schönes Beispiel findet sich hier (1; dass man die Werbung kaum findet, zeigt wohl, wie geschickt sie plaziert ist), und deutlich macht es natürlich auch die Bild (bild.de), vor allem, wenn man auf der Startseite etwas weiter hinunterscrollt, auf der rechten Seite (manchmal steht klein “Anzeige” dabei, der Rest allerdings ist im selben Stil wie Banner zu redaktionellen Inhalten gestaltet).
Eine andere Möglichkeit ist, den Inhalt der Werbeanzeige unkonventionell zu gestalten, wie es beispielsweise der Media Markt oder Saturn tut, und damit Aufmerksamkeit zu erhaschen (wobei unkonventionell nicht provokant im Sinne von niveaulos bedeuten muss, wie beispielsweise die Werbeaktion der Berliner Philharmoniker zeigt, deren Motive mittlerweile sogar auf “Fanshopartikeln” erhältlich sind (2)).
Eine weitere Möglichkeit besteht darin, die zur Verfügung stehenden Werbemedien möglichst total zu besetzen. So geschehen zur Markteinführung des Golf-Konkurrenzmodells von Toyota, dem Auris. Für 10 Tage wurden nahezu alle von der Straße aus sichtbaren, verfügbaren Plakatwände in Deutschland mit verschiedenen Kampagnenmotiven gepflastert. Die Aktion kostete ca 12 Mio. EUR und dürfte wohl kaum jemandem entgangen sein (3).
Und noch eine Möglichkeit gibt es für Werbetreibende, die Aufmerksamkeit potentieller Kunden deren Umgehungstaktiken zum Trotz auf die Werbebotschaft zu ziehen, obwohl diese klassisch präsentiert wird: Man erweitert den Rahmen des Werbemediums. So hat beispielsweise Otto für eine Kampagne Werbetafeln mit einem blinkenden Bluetooth-Sender ausgestattet. Allein schon deshalb zogen sie die Aufmerksamkeit auf sich (Werbetafeln blinken ja normalerweise nicht). Zusätzlich konnte man, brachte man sein Bluetooth-fähiges Handy in die Nähe des Senders, weitere Informationen anfordern. Der Betrachter sollte also die sonst übliche Passivität verlassen und die Werbebotschaft auf eine gewisse Art “erleben”, in Interaktion treten.
Ein wichtiges Mittel, Werbebotschaften mit einem hohen Wirkungsgrad zu verbreiten, besteht also dahin, die Ausblendetaktiken der umworbenen potentiellen Kunden zu umgehen. Damit muss Werbung immer wieder versuchen, unkonventionell in mindestens einer von zwei stets zusammen auftretenden Hinsichten sein. Ist sie bezüglich ihres Mediums konventionell (Zeitungs- und Internetseitenwerbung, Plakatwerbung, Fernsehwerbung), kann der Fokus auf unkonventionellen Inhalt (Werbebotschaft, beworbenes Produkt) gelegt werden. Ist der Inhalt konventionell, versucht sie, ein unkonventionelles Medium zu wählen, oder zumindest von diesem unkonventionell Gebrauch zu machen (und ggf. auch verschiedene Werbemedien zusammenzubringen).
Ersteres sieht man oft, letzteres eher nicht so, gerade dieser Weg ist jedoch auffälliger, auf der anderen Seite jedoch fokussierter, weil potentiell nicht so viele angesprochen werden können. Gerade (womit ich Samstag spätnachmittag meine) erreichte mich Werbung der letzteren Art, sie spielte sich vor meinem Fenster unten auf der Straße ab: Da fuhr ein Laster vorbei, der laut Zirkusmusik spielte. Auf ihm standen (oder tanzten) ein paar verkleidete Artisten, zu beiden Seiten, getrennt durch eine große Werbewand, auf der der Zirkusname, die Lokation und ein paar Aufführungstermine zu sehen waren. Nun wäre die Werbung in meinem Fall zwar nicht nötig gewesen, habe ich von meiner Wohnung aus doch freie Sicht auf Veranstaltungsort und Zirkusname, aufgestanden bin ich aber trotzdem. Das Ziel der Werbung wurde also erreicht.

… und eine kleine Einschätzung
Eine ganz andere Frage stellt dar, ob sie dieser Art wünschenswert ist. Dass Werbung nicht nur schlechte Seiten hat, können wir sicherlich ohne Weiteres zugestehen (Sie weist uns auf Produkte oder Einkaufsmöglichkeiten hin, finanziert Zeitungen, Fernsehsender und Internetseiten, ermöglicht also trotz der zensierenden Gefahr, die aus ihren Interessen erwächst und die auch immer wieder real wird, eine große Meinungs- und Informationsvielfalt und schafft, muss man ja der Vollständigkeit halber auch sagen, Arbeitsplätze).
Aber sie geht uns mitunter, sei es durch ihre schiere Omnipräsenz, sei es durch ihre Werbebotschaften, auch auf den Keks. Letztendlich nimmt sie als öffentliches Phänomen, das sehr stark auf jeden in unserer Gesellschaft wirkt, nicht unerheblichen Einfluss auf uns. Daher kommt ihr, und das heißt konkreter den Werbetreibenden, auch eine gewisse Verantwortung zu, die sicherlich oft nicht wahrgenommen wird. Ihr Ziel ist es, wahrgenommen zu werden, was, wie wir gesehen haben, Unkonventionalität erfordert, die in ihrer konkreten Umsetzung nicht immer wünschenswert ist. Sie möchte ins Gespräch kommen. So gesehen hat sie ihr Ziel auch erreicht, wenn man sich über sie aufregt, sie diskutiert. Allerdings ist genau das nötig, um ihr immer wieder die Grenzen aufzuzeigen und Verantwortungsbewusstsein an den Tag zu legen. Denn wer über etwas berichtet oder diskutiert, muss dieses etwas noch lange nicht kaufen, nur weil er, um berichten und diskutieren zu können, irgendetwas davon weiß.
Vom Zirkus gegenüber wusste ich schon, bevor vorhin der Werbe-LKW vorbeifuhr. Hingehen werde ich, trotz der Präsenz, nicht. Hinschauen von hier aus aber schon. Denn schön anzusehen ist das Ganze, das gesteh ich zu. Die Schönheit, ja. Glücklicherweise hat die Werbung auf sie nicht das Monopol.

Freitag, 14. Dezember 2007

1. Dezember (Rosa Parks)

Heute möchte ich mit einer kleinen Serie von täglichen Beiträgen beginnen, die sich bis zum 24. Dezember hin erstrecken soll. Man könnte sagen, dass mein Blog in dieser Zeit als eine Art Blog-Adventskalender oder Adventskalenderblog fungiert.
Eröffnen möchte ich ihn mit einem Beitrag zu Rosa Parks. Sie war eine Bürgerrechtsaktivistin in den USA, die 1955 großes Aufsehen erregte. In dieser Zeit gab es in den Bussen Montgomerys (sowie in anderen US-amerikanischen Städten) drei getrennte Sitzbereiche: Die vordersten Reihen waren ausschließlich für “Weiße” reserviert. Hier durfte kein “Farbiger” sitzen, selbst, wenn Plätze oder ganze Reihen unbesetzt waren und die “Farbigen” stehen mussten. In der Mitte gab es eine Art Pufferzone: Hier durften die “Farbigen” nur sitzen, wenn keine Weißen in der selben Reihe saßen. Setzte sich ein “Weißer” in eine Reihe, mussten alle “Farbigen” in der Reihe ihren Platz verlassen. Im hinteren Teil des Busses schließlich befand sich der primäre Sitzbereich für die “Farbigen”.

Der “Montgomery Bus Boykott”…
Rosa Parks saß am 1. Dezember 1955, also genau heute vor 57 Jahren, auf einem Platz in der Pufferzone und weigerte sich, aufzustehen, als ein “Weißer” in der selben Reihe Platz nahm. Der Busfahrer sah sich veranlasst, die Polizei zu rufen. Rosa Parks wurde festgenommen und verurteilt.
Dieser Vorfall führte zum sogenannten “Montgomery Bus Boykott”: Ü“ber ein Jahr kämpften die Afroamerikaner für eine Aufhebung der Diskriminierung in den Bussen speziell und gegen die gesellschaftliche Diskriminierung überhaupt. Sie benutzten nicht mehr die Busse, sondern organisierten sich in Fahrgemeinschaften, nachdem Taxifahrern vorgeschrieben wurde, einen Fahrpreis von mindestens 45 ct. zu verlangen. Zuvor hatten sie die Protestierenden für 10 ct. befördert. Weil durch den Boykott der Afroamerikaner die Auslastung der Busse stark zurückging, wurden die Fahrpreise drastisch erhöht. Die Stadtverwaltung zeigte jedoch keine Einsicht, daher verständigten sich die Boykotteure auf eine Klage gegen die Diskriminierung.
Am 13. November 1956, also fast ein Jahr später, wurde dieser Klage durch den obersten Gerichtshof der USA stattgegeben. Die Trennung der Sitzbereiche in den Bussen wurde aufgehoben, der Boykott eingestellt.

…und seine Bedeutung bzgl. der Diskriminierung in den USA…
Der “Montgomery Bus Boykott” wurde von Martin Luther King mitinitiiert und stellte zusammen mit den Protesten im Fall Emmett Till den Anfang der schwarzen Bürgerrechtsbewegung (Civil Rights Movement) dar. Diese Bewegung entwickelte sich nicht nur in den USA zum starken Symbol für das friedliche und beharrliche Aufbegehren ethnischer Minderheiten gegen Diskriminierung.
Diese Diskriminierung ist in den USA jedoch nach wie vor nicht aufgehoben. Es sind Verbesserungen erzielt worden:
Laut der Botschaft der USA in Deutschland arbeitet die Hälfte der 40 Millionen Afroamerikaner heute in sog. “white collar jobs” (Berufe im Management und der Verwaltung). Etwas mehr als die Hälfte aller afromaerikanischen High-School-Absolventen waren innerhalb eines Jahres an einem College eingeschrieben. Genauere Fakten finden sich nicht (1).
Dem gegenüber stehen ernüchternde Zahlen, die zeigen, dass die Diskriminierung in wesentlichen Bereichen wie der Arbeitslosigkeit, der Kindersterblichkeit (was Rückschlüsse auf das Gesundheitssystem zulässt) oder den Einkommensverhältnissen sogar wieder zugenommen hat:
“Die Arbeitslosigkeit unter Schwarzen war 2003 mehr als doppelt so hoch wie bei Weißen – 10,8% gegenüber 5,2% – eine größere Diskrepanz als 1972. Auch die Säuglingssterblichkeit liegt bei Schwarzen höher als 1970. 2001 betrug die Sterblichkeitsrate bei schwarzen Säuglingen 14 pro 1000 Lebendgeburten – sodass sie um 146% höher lag als bei weißen. 1970 war diese Diskrepanz noch um 37% geringer.Auch was die Einkommensverhältnisse betrifft, hat das schwarze Amerika weniger Fortschritte gemacht als das weiße. 1968 entsprach – laut Report – 1 Einkommens-Dollar für Weiße 55 Cent für Afro-Amerikaner. 33 Jahre später, im Jahr 2001, hatte diese Disparität lediglich um 2 Cent abgenommen. Einkommensgleichheit – so der Report – wäre bei diesem Tempo frühestens in 581 Jahren zu schaffen. Laut Report wird ein schwarzer College-Absolvent / eine schwarze College-Absolventin in seinem / ihrem Leben durchschnittlich $500 000 weniger verdienen als ein weißer / eine weiße College-Absolventin. Und schwarze Highschool-Abgänger werden im Durchschnitt $300 000 weniger verdienen – das heißt, falls sie zwischen dem 25. und 64. Lebensjahr vollbeschäftigt sind.
[...]
Viele Schwarze sind tatsächlich “arm an Reichtümern”. So besaß die durchschnittliche schwarze Familie 2001 netto $19 000 (Wohnung inklusive). Bei der (durchschnittlichen) weißen Familie waren es $121 000 Nettowert. Schwarze besaßen 2001 im Durchschnitt nur 16% dessen, was Weiße besaßen – im Jahr 1989 waren es 5%. Bei diesem Tempo wird es bis zum Jahr 2099 dauern, bis sich die Besitzverhältnisse im Durchschnitt angenähert haben.” (2)


…und in Deutschland…
Es gibt ähnliche Entwicklungen in Deutschland. Sie beziehen sich :€œ verglichen mit den USA – nicht so sehr auf einzelne ethnische Minderheiten, aber verschärfen ebenso die Diskrepanz zwischen arm und reich. Ein paar Beispiele:
Insgesamt gibt es derzeit etwas weniger als 1000 Milliardäre weltweit. Davon sind ca. die Hälfte Amerikaner. Auf Rang zwei folgt Deutschland mit 55 Milliardären (3)
Das Gesamtvermögen der Deutschen beläuft sich auf 5,4 Bio. EUR (Schulden herausgerechnet). 2/3 davon besitzen 10 % der Bevölkerung, wohingegen 2/3 der Bevölkerung kaum etwas davon hat (4).
Nach EU-Maßstab haben mittlerweile 17% aller Erwerbstätigen in Deutschland ein Einkommen unterhalb der “Armutsgrenze”, was heißen soll, dass grob jeder 5. Erwerbstätige armutsgefährdet ist. 1996 waren es noch 12 Prozent. (Die Armutsgrenze liegt bei 60% des mittleren Einkommens im jeweiligen Land. In Deutschland liegt die Armutsgrenze damit derzeit für Singles bei ca. 850 EUR/Einkommen pro Monat, für eine Familie mit 2 Kindern bei 1800 EUR) (5, 6, 7).

Die Bedeutung für uns
Natürlich sind das nur Schlaglichter. Sie sollen allerdings helfen, einen Schritt zurückzumachen. Man arrangiert sich gerne mit Dingen, die einem, macht man diesen Schritt zurück und denkt darüber nach, rasch nicht akzeptabel vorkommen. Das trifft für die Diskriminierungsproblematik in den USA ebenso zu wie etwa für die Verteilung der Chancen und des Vermögens in Deutschland oder der Welt. Ich möchte mit der vorgenommenen Problematisierung nicht sagen, dass ich meinte, Lösungen zu kennen. Es geht mir darum, eklatante Missstände zuerst einmal festzustellen. Daraus ergibt sich dann die Notwendigkeit, Position zu beziehen: Was halte ich davon? Was könnte bestimmte Notlagen verbessern helfen? Wie könnte ich mich einbringen? (Und natürlich auch: Wie bringe ich mich schon ein?)
Ich wollte mit diesem Artikel zum Nachdenken über genau solcherart Fragen anstoßen. Gerade jetzt, wo die Weihnachtszeit beginnt, und die Tage vielleicht etwas besinnlicher werden, man zum Nachdenken kommt, bietet es sich an, diese Chance zu nutzen.
Rosa Parks hat durch ihre ganz persönliche Initiative geholfen, für viele ein großes Problem zu lösen. Sicherlich gelingt so etwas nur sehr selten. Dafür setzen sich viele Menschen (und vielleicht auch man selbst) in ungezählten Taten für eine bessere Welt im Kleinen ein. Ihre Taten finden vielleicht keine größere öffentliche Beachtung, dennoch sind sie genauso nötig wie etwa das, was Rosa Parks vor 57 Jahren tat.
Wenn wir Nachrichten sehen, von Kriegen, Naturkatastrophen, großen und kleinen Ungerechtigkeiten hören, dann sollten wir unsere Verantwortung erkennen und fragen, was wir konkret machen können. Das heißt nicht, dass wir uns in allem engagieren müssen. So etwas ist nicht möglich, und genausowenig in unserem Interesse wie in dem anderer (Was wäre das für eine Welt, in der jeder nach dieser Maxime handelte?). Wir müssen Prioritäten setzen, und sicher haben wir selbst die größte in unserem Leben. Aber was uns gut tut, muss nicht egoistisch (in dem Sinne, dass die anderen nur ein strategisch einzusetzendes Mittel zum Zweck der eigenen Bedürfnisbefriedigung sind) sein. Es kann große Befriedigung bereiten, wenn man seinen Standpunkt, sein Sich-über-alles-stellen zeitweilen verlässt, und sich möglicherweise auch in größere Zusammenhänge einordnet.
In welcher Art und welchem Maße wir uns engagieren können, ist eine ganz individuelle Entscheidung. Das Engagement muss auf einen passen, und muss nicht endgültig sein oder beschränkt bleiben. Nur anstreben sollte man es. Es lohnt sich ganz bestimmt!

Literaturhinweis:
Ein wunderbares Buch, welches sich der Frage, wieso wir die Ü“bel in der Welt nicht ignorieren und uns stattdessen :€œ in welcher Form auch immer – engagieren sollten, ausführlicher widmet, stammt von dem australischen Philosophen Peter Singer. Es trägt den Titel “Wie sollen wir leben” und eignet sich hervorragend als Winterlektüre – oder Weihnachtsgeschenk.

Quellen:
(1) http://usa.usembassy.de/gesellschaft-blacks.htm
(2) http://www.aurora-magazin.at/gesellschaft/baran_usa_frm.htm
(3) http://www.tagesspiegel.de/wirtschaft/;art271,2429698
(4) http://www.spiegel.de/wirtschaft/0,1518,515793,00.html
(5) http://www.boeckler-boxen.de/cps/rde/xchg/
SID-3D0AB75D-C5A4AA51/boxen/hs.xsl/1116.htm
(6) http://www.tagesspiegel.de/zeitung/Fragen-des-Tages;art693,2429862
(7) http://www.sueddeutsche.de/,ra1m1/deutschland/artikel/125/141817/