Sonntag, 26. Oktober 2008

Des Teufels Advokat

Was hat Faust mit Kevin gemeinsam? Oder, wenn wir unseren Blick von ihren Verkörperungen abwenden: Worin fallen Goethe und Al Pacino zusammen (und macht Fontane munter mit)? Im Männergelage darf freilich auch das Gretchen nicht fehlen. Die ist dem Alten Verhängnis und Alles zugleich. Al Pacino gibt 300 Jahre später im Showdown von “The Devils Advocate” eine Antwort. Ihn dräuen die selben Fragen wie die Weimarer Klassik.

Gott hat die Welt erschaffen? Mag sein. Er zeigt sich aber nicht, sondern schickt immer nur Abgesandte, seine tausend Engelchen. Wieso zeigt er sich nicht? Ein Schelm, wer Böses dabei denkt. Denn das würde Gott in den Kram passen. Sobald nämlich das Böse im Schelm entlarvt ist, ist er fein raus. “Du sollst nicht”: Die 10 Gebote sind ein einziger Kanon von Verboten. Gerade aber dem, der kategorisch zu bestimmen sucht, was gut ist und was böse, ist der moralische Vorwurf zu machen.
Der Teufel unternimmt erst gar nicht den Versuch einer solch selbstgerechten Eigenbildkonstruktion. Er mischt stattdessen als unseresgleichen kräftig mit. Lebt seine Lüste aus, probiert, durchlebt Höhen und Tiefen, fällt auf die Gusche, steht wieder auf. Er steht unserer Lebenswirklichkeit ungleich näher. Er hängt keiner falschen Souveränität nach, die sich durch omnipräsente Distanz manifestiert. Er ist souverän nur in seinem unbändigen Willen nach Leben. Er hat seinen Bezug allein in sich. Er hält sich nicht raus, sondern drängt sich beständig hinein und hinzu. Er hält aus.

Die Illusion des vollständig Guten, das Gott sein soll: Wie lächerlich. Er schaut zu. Hält sich unangreifbar heraus. Darin liegt seine ganze moralische Schwäche. Wenn die Frage, wofür Gott lebt, nicht gestellt werden kann, ist die Frage, ob er überhaupt lebenswert lebt, so wie er es per definitionem weitergedacht ja tun muss, noch lange nicht abgetan.

Da sitzt (oder “west”) er, nicht involviert, und schaut sich an, was passiert. Ist das nicht niederträchtig? Sicher übertragen wir unsere Kategorien auf ihn, sind in unserer irdischen Prägung befangen. Aber ist dieser Gott es in seinem feigen sakralen Gleichmut nicht auch? Er kann unseren moralischen Vorwurf gar nicht verstehen, weil er meint, über allem zu sein. Er hat in seinem einseitigen Idealismus, der keine lebensweltlichen Sanktionen kennt, mit uns nichts gemein. Und worauf gründet sich seine Gewissheit, wenn nicht auf diesem Entzogensein? Und welche Verlogenheit verbirgt sich wiederum dahinter?

Selbst, wenn er als Akteur in der Welt mitmischt, wie Rübezahl in mannigfachen Erscheinungen, ist er des moralischen Vorwurfs nicht enthoben. Er bleibt nämlich Gott und hält sich den Ausweg offen. Die Option auf Rückkehr zur Unendlichkeit und Großgütigkeit seines Wesens besteht fort.
Dem moralischen Vorwurf vermag Gott nur entgehen, indem er endet. Nietzsches Zarathustra stieg nach sieben Jahren Einkehr erleuchtet zu den Menschen hinab. Einem Greis im Walde, der ihn nach seiner Erkenntnis fragte, verschwieg er sich. Wohl wissend, dass sie ihm nicht gegeben, sondern alles genommen hätte.