Freitag, 14. Dezember 2007

1. Dezember (Rosa Parks)

Heute möchte ich mit einer kleinen Serie von täglichen Beiträgen beginnen, die sich bis zum 24. Dezember hin erstrecken soll. Man könnte sagen, dass mein Blog in dieser Zeit als eine Art Blog-Adventskalender oder Adventskalenderblog fungiert.
Eröffnen möchte ich ihn mit einem Beitrag zu Rosa Parks. Sie war eine Bürgerrechtsaktivistin in den USA, die 1955 großes Aufsehen erregte. In dieser Zeit gab es in den Bussen Montgomerys (sowie in anderen US-amerikanischen Städten) drei getrennte Sitzbereiche: Die vordersten Reihen waren ausschließlich für “Weiße” reserviert. Hier durfte kein “Farbiger” sitzen, selbst, wenn Plätze oder ganze Reihen unbesetzt waren und die “Farbigen” stehen mussten. In der Mitte gab es eine Art Pufferzone: Hier durften die “Farbigen” nur sitzen, wenn keine Weißen in der selben Reihe saßen. Setzte sich ein “Weißer” in eine Reihe, mussten alle “Farbigen” in der Reihe ihren Platz verlassen. Im hinteren Teil des Busses schließlich befand sich der primäre Sitzbereich für die “Farbigen”.

Der “Montgomery Bus Boykott”…
Rosa Parks saß am 1. Dezember 1955, also genau heute vor 57 Jahren, auf einem Platz in der Pufferzone und weigerte sich, aufzustehen, als ein “Weißer” in der selben Reihe Platz nahm. Der Busfahrer sah sich veranlasst, die Polizei zu rufen. Rosa Parks wurde festgenommen und verurteilt.
Dieser Vorfall führte zum sogenannten “Montgomery Bus Boykott”: Ü“ber ein Jahr kämpften die Afroamerikaner für eine Aufhebung der Diskriminierung in den Bussen speziell und gegen die gesellschaftliche Diskriminierung überhaupt. Sie benutzten nicht mehr die Busse, sondern organisierten sich in Fahrgemeinschaften, nachdem Taxifahrern vorgeschrieben wurde, einen Fahrpreis von mindestens 45 ct. zu verlangen. Zuvor hatten sie die Protestierenden für 10 ct. befördert. Weil durch den Boykott der Afroamerikaner die Auslastung der Busse stark zurückging, wurden die Fahrpreise drastisch erhöht. Die Stadtverwaltung zeigte jedoch keine Einsicht, daher verständigten sich die Boykotteure auf eine Klage gegen die Diskriminierung.
Am 13. November 1956, also fast ein Jahr später, wurde dieser Klage durch den obersten Gerichtshof der USA stattgegeben. Die Trennung der Sitzbereiche in den Bussen wurde aufgehoben, der Boykott eingestellt.

…und seine Bedeutung bzgl. der Diskriminierung in den USA…
Der “Montgomery Bus Boykott” wurde von Martin Luther King mitinitiiert und stellte zusammen mit den Protesten im Fall Emmett Till den Anfang der schwarzen Bürgerrechtsbewegung (Civil Rights Movement) dar. Diese Bewegung entwickelte sich nicht nur in den USA zum starken Symbol für das friedliche und beharrliche Aufbegehren ethnischer Minderheiten gegen Diskriminierung.
Diese Diskriminierung ist in den USA jedoch nach wie vor nicht aufgehoben. Es sind Verbesserungen erzielt worden:
Laut der Botschaft der USA in Deutschland arbeitet die Hälfte der 40 Millionen Afroamerikaner heute in sog. “white collar jobs” (Berufe im Management und der Verwaltung). Etwas mehr als die Hälfte aller afromaerikanischen High-School-Absolventen waren innerhalb eines Jahres an einem College eingeschrieben. Genauere Fakten finden sich nicht (1).
Dem gegenüber stehen ernüchternde Zahlen, die zeigen, dass die Diskriminierung in wesentlichen Bereichen wie der Arbeitslosigkeit, der Kindersterblichkeit (was Rückschlüsse auf das Gesundheitssystem zulässt) oder den Einkommensverhältnissen sogar wieder zugenommen hat:
“Die Arbeitslosigkeit unter Schwarzen war 2003 mehr als doppelt so hoch wie bei Weißen – 10,8% gegenüber 5,2% – eine größere Diskrepanz als 1972. Auch die Säuglingssterblichkeit liegt bei Schwarzen höher als 1970. 2001 betrug die Sterblichkeitsrate bei schwarzen Säuglingen 14 pro 1000 Lebendgeburten – sodass sie um 146% höher lag als bei weißen. 1970 war diese Diskrepanz noch um 37% geringer.Auch was die Einkommensverhältnisse betrifft, hat das schwarze Amerika weniger Fortschritte gemacht als das weiße. 1968 entsprach – laut Report – 1 Einkommens-Dollar für Weiße 55 Cent für Afro-Amerikaner. 33 Jahre später, im Jahr 2001, hatte diese Disparität lediglich um 2 Cent abgenommen. Einkommensgleichheit – so der Report – wäre bei diesem Tempo frühestens in 581 Jahren zu schaffen. Laut Report wird ein schwarzer College-Absolvent / eine schwarze College-Absolventin in seinem / ihrem Leben durchschnittlich $500 000 weniger verdienen als ein weißer / eine weiße College-Absolventin. Und schwarze Highschool-Abgänger werden im Durchschnitt $300 000 weniger verdienen – das heißt, falls sie zwischen dem 25. und 64. Lebensjahr vollbeschäftigt sind.
[...]
Viele Schwarze sind tatsächlich “arm an Reichtümern”. So besaß die durchschnittliche schwarze Familie 2001 netto $19 000 (Wohnung inklusive). Bei der (durchschnittlichen) weißen Familie waren es $121 000 Nettowert. Schwarze besaßen 2001 im Durchschnitt nur 16% dessen, was Weiße besaßen – im Jahr 1989 waren es 5%. Bei diesem Tempo wird es bis zum Jahr 2099 dauern, bis sich die Besitzverhältnisse im Durchschnitt angenähert haben.” (2)


…und in Deutschland…
Es gibt ähnliche Entwicklungen in Deutschland. Sie beziehen sich :€œ verglichen mit den USA – nicht so sehr auf einzelne ethnische Minderheiten, aber verschärfen ebenso die Diskrepanz zwischen arm und reich. Ein paar Beispiele:
Insgesamt gibt es derzeit etwas weniger als 1000 Milliardäre weltweit. Davon sind ca. die Hälfte Amerikaner. Auf Rang zwei folgt Deutschland mit 55 Milliardären (3)
Das Gesamtvermögen der Deutschen beläuft sich auf 5,4 Bio. EUR (Schulden herausgerechnet). 2/3 davon besitzen 10 % der Bevölkerung, wohingegen 2/3 der Bevölkerung kaum etwas davon hat (4).
Nach EU-Maßstab haben mittlerweile 17% aller Erwerbstätigen in Deutschland ein Einkommen unterhalb der “Armutsgrenze”, was heißen soll, dass grob jeder 5. Erwerbstätige armutsgefährdet ist. 1996 waren es noch 12 Prozent. (Die Armutsgrenze liegt bei 60% des mittleren Einkommens im jeweiligen Land. In Deutschland liegt die Armutsgrenze damit derzeit für Singles bei ca. 850 EUR/Einkommen pro Monat, für eine Familie mit 2 Kindern bei 1800 EUR) (5, 6, 7).

Die Bedeutung für uns
Natürlich sind das nur Schlaglichter. Sie sollen allerdings helfen, einen Schritt zurückzumachen. Man arrangiert sich gerne mit Dingen, die einem, macht man diesen Schritt zurück und denkt darüber nach, rasch nicht akzeptabel vorkommen. Das trifft für die Diskriminierungsproblematik in den USA ebenso zu wie etwa für die Verteilung der Chancen und des Vermögens in Deutschland oder der Welt. Ich möchte mit der vorgenommenen Problematisierung nicht sagen, dass ich meinte, Lösungen zu kennen. Es geht mir darum, eklatante Missstände zuerst einmal festzustellen. Daraus ergibt sich dann die Notwendigkeit, Position zu beziehen: Was halte ich davon? Was könnte bestimmte Notlagen verbessern helfen? Wie könnte ich mich einbringen? (Und natürlich auch: Wie bringe ich mich schon ein?)
Ich wollte mit diesem Artikel zum Nachdenken über genau solcherart Fragen anstoßen. Gerade jetzt, wo die Weihnachtszeit beginnt, und die Tage vielleicht etwas besinnlicher werden, man zum Nachdenken kommt, bietet es sich an, diese Chance zu nutzen.
Rosa Parks hat durch ihre ganz persönliche Initiative geholfen, für viele ein großes Problem zu lösen. Sicherlich gelingt so etwas nur sehr selten. Dafür setzen sich viele Menschen (und vielleicht auch man selbst) in ungezählten Taten für eine bessere Welt im Kleinen ein. Ihre Taten finden vielleicht keine größere öffentliche Beachtung, dennoch sind sie genauso nötig wie etwa das, was Rosa Parks vor 57 Jahren tat.
Wenn wir Nachrichten sehen, von Kriegen, Naturkatastrophen, großen und kleinen Ungerechtigkeiten hören, dann sollten wir unsere Verantwortung erkennen und fragen, was wir konkret machen können. Das heißt nicht, dass wir uns in allem engagieren müssen. So etwas ist nicht möglich, und genausowenig in unserem Interesse wie in dem anderer (Was wäre das für eine Welt, in der jeder nach dieser Maxime handelte?). Wir müssen Prioritäten setzen, und sicher haben wir selbst die größte in unserem Leben. Aber was uns gut tut, muss nicht egoistisch (in dem Sinne, dass die anderen nur ein strategisch einzusetzendes Mittel zum Zweck der eigenen Bedürfnisbefriedigung sind) sein. Es kann große Befriedigung bereiten, wenn man seinen Standpunkt, sein Sich-über-alles-stellen zeitweilen verlässt, und sich möglicherweise auch in größere Zusammenhänge einordnet.
In welcher Art und welchem Maße wir uns engagieren können, ist eine ganz individuelle Entscheidung. Das Engagement muss auf einen passen, und muss nicht endgültig sein oder beschränkt bleiben. Nur anstreben sollte man es. Es lohnt sich ganz bestimmt!

Literaturhinweis:
Ein wunderbares Buch, welches sich der Frage, wieso wir die Ü“bel in der Welt nicht ignorieren und uns stattdessen :€œ in welcher Form auch immer – engagieren sollten, ausführlicher widmet, stammt von dem australischen Philosophen Peter Singer. Es trägt den Titel “Wie sollen wir leben” und eignet sich hervorragend als Winterlektüre – oder Weihnachtsgeschenk.

Quellen:
(1) http://usa.usembassy.de/gesellschaft-blacks.htm
(2) http://www.aurora-magazin.at/gesellschaft/baran_usa_frm.htm
(3) http://www.tagesspiegel.de/wirtschaft/;art271,2429698
(4) http://www.spiegel.de/wirtschaft/0,1518,515793,00.html
(5) http://www.boeckler-boxen.de/cps/rde/xchg/
SID-3D0AB75D-C5A4AA51/boxen/hs.xsl/1116.htm
(6) http://www.tagesspiegel.de/zeitung/Fragen-des-Tages;art693,2429862
(7) http://www.sueddeutsche.de/,ra1m1/deutschland/artikel/125/141817/

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