Freitag, 16. Mai 2014

Europawahl: Wieso für mich weder CDU noch SPD in Frage kommen

Wahlen, zumal politische, sind eine seltsame Angelegenheit: Man wird gezwungen, unzählige  Standpunkte zu unterschiedlichsten Themen auf einen Listeneintrag des Wahlzettels zusammenzudampfen, um dann dort sein Kreuz zu machen. Das kann nur ein schlechter Kompromiss sein. Aber so funktioniert die repräsentative Demokratie. Diese fordert in knapp einer Woche wieder einmal eine Entscheidung ab. Europawahl - wen wählen? Und wieso? 

Angeregt durch einen Beitrag in der heute-show über das transatlantische Freihandelsabkommen (Transatlantic Trade and Investmant Partnership, kurz TTIP) bin ich auf ein für mich bedeutendes Thema aufmerksam geworden, welches meine Wahlentscheidung maßgeblich beeinflussen wird. Im Folgenden habe ich mir einen groben Überblick verschafft. Vorab: Es ist erschreckend, was da beschlossen werden könnte. Und wir können mithelfen, das zu verhindern!

Mehr Wachstum alleiniger Zweck? 

Zweck eines Freihandelsabkommens, wie es die EU und die USA diskutieren, ist die Beseitigung von Hemnissen für Handel und Investitionen. Je nach Prognose wird von 0,1 bis 0,5% mehr Wirtschaftswachstum auf beiden Seiten des Atlantiks ausgegangen. Klingt nicht viel, ist aber doch eine ganze Menge, wenn man sich die Wachstumsraten der letzten Jahre anschaut, die in der EU bei durchschnittlich 1,1% zwischen 2002 und 2013, in den USA bei 1,85% lagen.

Um Handels- und Investitionshemnisse zu beseitigen, ist es nötig, die gesetzlichen Standards anzugleichen. Beim TTIP geht es konkret um den Datenschutz, Produktsicherheit, Investitionsschutz sowie Regeln für den Verbraucher-, Umwelt- und Gesundheitsschutz ("Fracking", "Chlorhähnchen"). Obwohl die Feststellung sehr allgemein ist, kann wohl doch gesagt werden: Viele Standards aus den genannten Bereichen sind in der EU höher als in den USA, faktisch würde das Abkommen daher eine Senkung von Verbraucherschutzrechten mit sich bringen. Und nicht nur das.

Der Investitonsschutz: Gewinne privatisieren, Verluste vergesellschaften 

Der Investitonsschutz soll als wichtiger Bestandteil in das TTIP integriert werden. Er sieht vor, dass Privatunternehmen Staaten auf Schadensersatz verklagen können. Dem "ausländischen Investor [wird garantiert], dass günstige rechtliche Standards für seine Kapitalanlage beibehalten werden, und spricht ihm einen Schadensersatz zu, falls die Garantie verletzt wird." (Siehe SZ). Delikat am Investitionsschutz im transatlatnischen Freihandelsabkommen wären folgende Punkte (mehrheitlich nachzulesen hier):
  1. Der Staat muss bei Änderungen im Arbeits-, Verbraucher- und Umweltschutz - allesamt Gebiete, die stark die Investitionen von Unternehmen gefährden können - befürchten, verklagt zu werden. Damit wird eindeutlig seine Souveränität und Handlungsfreiheit beschnitten, er kann seine gesetzgeberische Verantwortung nicht mehr wahrnehmen. 
  2. Die Streitfälle werden nicht vor staatlichen Gerichten ausgetragen, sondern vor privaten, mit wenigen, immer gleichen Branchenanwälten besetzten Schiedsgerichten. Deren Urteile fallen schnell, sind unanfechtbar und direkt vollstreckbar. Die staatliche Selbstbestimmtheit ist damit erneut gebrochen. Seine gesetzgeberische Kraft reicht nicht aus, etwas gegen das Urteil zu unternehmen.
    Dabei entbehren die "Geheimprozesse" jeglichen Standards von Rechtssprechung in modernen Demokratien: Transparenz, Überprüfbarkeit, Unabhängigkeit, Verantwortlichkeit.
  3. Unglaublich ist ein weiterer Umstand: Der Staat kann im Rahmen des Verfahrens nicht als Kläger auftreten, nur das Unternehmen. Der Investitonsschutz wird nur dem Unternehmen eingeräumt, nicht dem Staat , dieser verzichtet freiweillig. Wenn das Unternehmen in Aussicht gestellte Investitionen nicht tätigt, oder anderweitige Absprachen bricht, Standorte schließt, etc., dann kann der Staat nur über den klassischen und langwierigen Weg seiner eigenen rechtlichen Mittel etwas machen. Andersherum kann das Unternehmen den Staat aber über das Investitionsschutzverfahren mit allen Vorteilen verklagen. Ein ungeheuerlicher Umstand und pure Iditiote des Staates.
  4. Würde diese Art von "Nötigung eines Verfassungsorgans" von jemand anderem begangen, müsste dieser mit einer Strafverfolgung rechnen - ein privatwirtschaftliches Unternehmen dürfte dann aber ganz selbstverständlich nötigen.
Was ein solcher Investitonsschutz konkret bedeuten kann, macht Vattenfall vor. Der schwedische Energiekonzern hat die Bundesrepublik Deutschland auf Schadensersatz für Millardenverluste verklagt, welche ihm aus der Energiewende entstanden sind. Frei nach dem Motto: Die Mehrheit der Bevölkerung befürwortet den Atomausstieg, jetzt muss sie dafür zahlen. Weiteren Fällen dieser Art wäre mit dem TTIP in der jetzigen Form künftig Tür und Tor geöffnet. Ganz ohne Populismus und Pauschalisierung wäre das ein konkreter Fall dafür, wie Gewinne  privatisiert und Verluste vergesellschaftet werden.
    Meine Konsequenzen 

    Auch wenn es Punkte beinhaltet, die durchaus zu begrüßen sind - ein Freihandeslabkommen, welches solch eine zwielichtige Untervereinbarung enthält, kann nicht gut sein. Zwar üben sich CDU und SPD nun, da sich öffentlicher Widerstand regt, in Beschwichtigungen, diese wirken aber heuchlerisch - wenn sich kein Widerstand geregt hätte, hätte man den Investitionsschutz mit Sicherheit kommentarlos durchgewunken.
    Aus diesem Grund werde ich bei der Europawahl am 25. Mai nicht die beiden Volksparteien wählen. Und ich hoffe, es werden mir viele andere gleichtun. Ein TTIP in dieser Form darf nicht verabschiedet werden.

    Übrigens: Welche Position die Parteien zum TTIP haben, findet sich im Wahl-O-Mat-Dokument hier (Thema 19). Der Wahl-O-Mat selbst gibt einem nach 10 Minuten eine einfache Antwort auf die Frage, wen man wählen sollte. Einen Standpunkt zu beziehen - und das sollte jeder tun - nimmt er einem zum Glück noch nicht ab.