Mittwoch, 25. Mai 2005

Jena-Paradies

“Schönheit wird essbar sein oder gar nicht sein” Dahlì

Cuius regio, eius religio

Jena-Paradies. Am Zug vorbei erstreckt sich ein ellenlanger Bahnsteig, der nicht enden will und fühlen. Seitlich stacken Absperrungen aus Brettern in die Höhe, an denen entlang sich Pflanzen winden, vor denen Bäume harren. Als der Zug ausgefahren ist, herrscht Stille.
Die aufstrebenden Augen lokalisieren ihren Halter in einem Tal, dessen Rücken plattgedrückt sich zum Zentrum hin in die Ferne öffnet. Und in der Konsequenz der Bezeichnung dieses Orts formiert sich ein Begriff heraus, der dem zugehörigen Mund weiter südlich ein Lächeln auf die Lippen trägt: Provinz. Trotz eigenem Landkreis. Trotz ICE-Bahnhofs, trotz verzerrten Minen und High Heels, trotz zweispurigen Straßen und beampelten Fußgängerübergängen.
In der Ferne, noch hinter der Altstadt, torkelt der Intershoptower, Zeichen von Urbanität, einer der zahlreichen Grabsteine der New Economy benannten Epoche aus Geldsalat und Kaviar. Lächerlich überagt er die paar um ihn herumkriechenden Häuschen. Geht unter im silbern glänzenden Geltungsbedürfnis, im aufgesetzten Ernst glasige Schwielen bildend, hinter seiner hellen Glasfassade ängstlich hingebückt, vor seiner Mutter, der Reduflexion.
Tief unten derweil drängen sich keine Menschenleins eng durch die Gassen. Dem alten Museum in DDR-Zweckbaustatur folgt eine Bäckerei, die örtliche Sparkasse mit Marmorverkleidung und ein Internetcafe mit LCD-Bildschirmen, das sich weltOffen nennt. Davor plauschen Omas. Der schmale Weg wird geschnitten von einer vorbeirauschenden Straße, und geht dahinter über in einen größeren von Modernitätsanspruch beausspruchten Platz. Die den Mund und dessen Augen, nein andersrum plädiert die Nase an das stolze taube Ohr, jedenfalls sagt der Hals, von sich getragenen, über einen Körper den Beinen aufsitzenden, und all dieses aushaltenden Füße drehen schließlich nach links ab und folgen jetzisabergut dem Neuen. Vorbei an renovierten Fassaden, auf eigesichtige Gesichter zu, patroulliert von Schildern, die unter anderem diplom-psychologisch, prost, Frau Gudrun Biersack und die “Neue Mitte” bewerben.
Krausgelockt findet der mittlerweile von Organkämpfen innerlich Zerfressene ein paar Gehminuten vom vorigen Satz entfernt in der Goethe-Galerie eine Bleibe, einen vollklimatisierten Gebetsmühlentempel des Konsumgottes. Vor dem Stuhl der gravierenden Masse aus Fleisch, Blut und Geistgefäß steht ein selbiger, neben dem ein weiterer steht und so fort, dahinter der eingangs aus ausgang festgelgte mit dem Schuheträger darauf, wie auch links und rechts davon. Sie stehen da geduldig kahlgekörpert vor einer kunstgrasgepflasterten Bühne, die sich in die Mitte des Raumes zwängt, beidseitig begrenzt vom Menschenstrom aus Einkaufstüten und Parfüm.
Irgendwann dringt aus der zurechtgeprobten Soundanlage ein Stimmenrauschen, das überdeutlich zu Worten sich herauskristallisiert, als er ihm den Filter seines aus der Tiefe des Hallenreizekörpers herauftauchenden Bewusstseins entgegenhält.
Durch ihre die weiter vorn befindlichen bunten undeutlichen Pfützenflecken anvisierenden Augen dringen ihr der Prozess der Schärferwerdung ausgesetzt Seienden 3 Persöhnchen maskuliner Genalität entgegen. Links ganz in braunem Cord ein Jenaer Theaterregisseur mit Hornbrille auf der großen krummen Nase vor den allzuenganeinanderliegendenaufeinanderdraufgequetschten-himmelhilfpupillen. Der bewegt die ganze Zeit so blöd nervös seinen Kopf zum Publikum. Dann in der Mitte ein fetter Rübezahlrasierter gesinnungsgrüner Grasklops mit hinkelsteindimensioniertem unnatürlich weit nach vorne geschobenem und also Wirklichkeit und Anspruch symbolisierenden Kinn wie ichdenke , schließlich rechts flankiert vom Professor Schmidt oder so, der ist von großer naturbreiter Statur, und einem seeligseienden Lächeln, das er immer wiedermal dem Gelump an seiner Seite gnädig gut entgegenwirft.
Wo waren wir stehen geblieben,.. Es ging um Schiller. 200 Jahre tot und dennoch lebend, skandieren Spruchbändchen vom hohen Hallenhimmel herab. Andere singen in klarem mehrheitsdemokratischen Verständnis von der stärkeren Gewichtung der richtigen, nicht unbedingt öfter vertretenen Meinungen.
Dann reißt mich eine Stimme von erstaunlicher Klarheit unerwartet dem bislang rein geographischen Mittelpunkt des Raumes entzu, gefolgt von einem aufrichtigen Staunen. Rübezahl spricht, und alle hören hin, und jeder scheint es zu verstehen. Begrüßung, Frage mitte, Antwort rechts, Frage mitte, Antwort links, Frage mitte, Antwort rechts, Frage mitte, Antwort links, Frage mitte, Antwort links, Frage links, Antwort links, Antwort rechts. Der Rübezahl kurz irritiert, stellt sinngerecht eine Frage mitte antwort rechts und klopft sich fragend mitte antwort links auf die eigne Schulter. jahaaa, gut gemacht gut gut.
Nach einer halben Stunde allgemeiner Abendsendungssülze erhebt sich der helle Kopf zur rechten ruhig und drängt die beiden links von sich dezent, man ist an dieser Stelle fast vesucht, dieses Wort französisch auszusprechen, zur Seite. Hört sich deren wichtigweichen Abschiedsmonolog an und entschwindet ruhigen Rauscheschrittes durch die Massen, sie kopfhoch überragend, in langem beigen Mantel.
Was er nicht weiß, denke ich noch, er hat da was von mir dabei mit insichwegundmitgenommen, schreibt er nicht, denkt sie von sich, dann seid ihr nämlich alle nichts, nichts von klein mit groß; und schwerelos.

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