Wir leben in einer Zeit der Imperative. Ein Buch Sloterdijks trägt
den Titel einer Gedichtzeile Rilkes: “Du sollst Dein Leben ändern”. Wenn
wir durch Einkaufssstraßen gehen, Werbeanzeigen in Zeitungen sehen oder
TV-Spots, E-Mail-Newletter und Tweets, wird an uns unentwegt
appelliert: Interesse zu zeigen, zu handeln oder einzukaufen. Und
schließlich sitzt uns ein neu erstarktes ökologisches Gewissen im Nacken
und fordert die Mülltrennung, verkürzte Duschzeit und Wiederverwertung.
Dann muss man sich bei Freunden melden und darf die Familie nicht
vernachlässigen.
So betrachtet sind wir Subjekte zahlreicher übergeordneter
Forderungen, die sich nicht selten auch widersprechen. Tue dies, mache
das, unterlasse dieses, verzichte auf jenes. Wie soll man sich da
zurechtfinden?
Nicht, indem man sich in das nächste Buchgeschäft begibt und Ratgeber
einsammelt. Man muss durch inneren Nachvollzug auf der reflexiven,
sprich Metaebene Stellung beziehen zu den Imperativen um einen her.
Diese Aufgabe ist eine der wenigen, die nicht durch einen gezielten
Einkauf substituiert werden kann. Prinzipien zu erarbeiten, an denen
Denken und Handeln sich orientiert und geprüft wird, und diese
weiterzuentwickeln ist Existenzbedingung eines jeden Menschen, ähnlich
wie Essen uns Trinken.
In einem wirtschaftsphilosophischen Seminar an der FU Berlin hat der
Leiter Dr. Thomas Rusche, Inhaber und Geschätsführer von Sør, uns
Studenten einmal die einfache, aber aufschlussreiche Empfehlung gegeben,
die eigenen Prinzipien aufzuschreiben. Ein weiterer Imperativ,
allerdings für die Innenschau. Interessant wird es, wenn man diese mit
denen des Partners oder Freunden vergleicht.
Vor uns lagen die Innereien des eigenen Geistes. Was man seziert,
rührt an der eigenen Substanz. Wenn dann nach eingehender Untersuchung
feststeht, dass man manches gerade so nicht erwartet hätte, steht am
Ende vielleicht die Erkenntnis: Du musst Dein Leben ändern. Und hätte
damit den Kontext des Gedichtes von Rilke wieder hergestellt (s. hier).
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