Montag, 26. Dezember 2011

Imperative

Wir leben in einer Zeit der Imperative.  Ein Buch Sloterdijks trägt den Titel einer Gedichtzeile Rilkes: “Du sollst Dein Leben ändern”. Wenn wir durch Einkaufssstraßen gehen, Werbeanzeigen in Zeitungen sehen oder TV-Spots, E-Mail-Newletter und Tweets, wird an uns unentwegt appelliert: Interesse zu zeigen, zu handeln oder einzukaufen. Und schließlich sitzt uns ein neu erstarktes ökologisches Gewissen im Nacken und fordert die Mülltrennung, verkürzte Duschzeit und Wiederverwertung. Dann muss man sich bei Freunden melden und darf die Familie nicht vernachlässigen.

So betrachtet sind wir Subjekte zahlreicher übergeordneter Forderungen, die sich nicht selten auch widersprechen. Tue dies, mache das, unterlasse dieses, verzichte auf jenes. Wie soll man sich da zurechtfinden?

Nicht, indem man sich in das nächste Buchgeschäft begibt und Ratgeber einsammelt. Man muss durch inneren Nachvollzug auf der reflexiven, sprich Metaebene Stellung beziehen zu den Imperativen um einen her. Diese Aufgabe ist eine der wenigen, die nicht durch einen gezielten Einkauf substituiert werden kann. Prinzipien zu erarbeiten, an denen Denken und Handeln sich orientiert und geprüft wird, und diese weiterzuentwickeln ist Existenzbedingung eines jeden Menschen, ähnlich wie Essen uns Trinken.

In einem wirtschaftsphilosophischen Seminar an der FU Berlin hat der Leiter Dr. Thomas Rusche, Inhaber und Geschätsführer von Sør, uns Studenten einmal die einfache, aber aufschlussreiche Empfehlung gegeben, die eigenen Prinzipien aufzuschreiben. Ein weiterer Imperativ, allerdings für die Innenschau. Interessant wird es, wenn man diese mit denen des Partners oder Freunden vergleicht.

Vor uns lagen die Innereien des eigenen Geistes. Was man seziert, rührt an der eigenen Substanz. Wenn dann nach eingehender Untersuchung feststeht, dass man manches gerade so nicht erwartet hätte, steht am Ende vielleicht die Erkenntnis: Du musst Dein Leben ändern. Und hätte damit den Kontext des Gedichtes von Rilke wieder hergestellt (s. hier).

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