Freitag, 22. November 2013

Joseph Weizenbaum: Was ich glaube

Was ich glaube

Joseph Weizenbaum
Prof. of Computer Science 
Massachusetts Institute of Technology (1963 – 1985) 
12. September 2007 

  1. „Wer nur einen Hammer hat, sieht die ganze Welt als Nagel“. (Abraham Kaplan)*
  2. Die Naturwissenschaft ist nicht die einzige, nicht mal die reichste oder die wichtigste, Quelle der Wahrheit.
  3. Das Fundament der Naturwissenschaft ist Glauben, nämlich der Glaube, dass die Naturgesetze - nicht nur die, die wir heute kennen - im totalen Raum und in der ewigen Vergangenheit und Zukunft herrschen. Kein Experiment kann diesen doch fundamentaler Glauben weder verifizieren noch falsifizieren.
  4. Nicht alle Aspekte der Realität sind berechenbar.
  5. Die Aufgabe der Wissenschaft ist, der Natur Fragen zu stellen. Es gibt unendlich viele Fragen die gestellt werden könnten. Von denen müssen Wissenschaftler die wenigen wählen, die sie tatsächlich bearbeiten könnten und möchten. Diese Wahl ist vom Zeitgeist der Kultur, in der sie getroffen wird, stark geprägt, fast determiniert. Es folgt, dass die Naturwissenschaft, sowie die von ihr abgeleiteten Technologien und Instrumentarien, nicht wertfrei sind. Sie erben ihre Werte von den Werten der Gesellschaften, in die sie eingebettet sind. In einer hoch militarisierten Gesellschaft sind Wissenschaft und Technologie von den Werten des Militärs geprägt, in einer Gesellschaft, deren Werte hauptsächlich von Streben nach Reichtum und Macht abgeleitet sind, sind sie entsprechend gestaltet. Die Werte der Wissenschaft, eingebettet in eine vernünftige Gesellschaft, würden vernünftig, d.h. human sein. Die von ihr abgeleitete Technologie würde Leben statt Tod dienen.
  6. Totale, komplette und völlige Kenntnisse der physikalischen, genetischen, neurologischen Strukturen sowie alle Teile und Eigenschaften und ihre Zusammenhänge eines Lebewesens, genügen nicht, um das Lebewesen zu verstehen. Wer, zum Beispiel, alle diese Kenntnisse über eine Ameise hat, aber nicht weiß und zu tiefst begreift, dass die Ameise in einer riesigen Gesellschaft von Ameisen lebt, versteht die Ameise nicht. Dasselbe gilt für das Verstehen des Menschen. Es ist im Prinzip unmöglich, den Menschen rein wissenschaftlich zu begreifen.
  7. "Kein Mensch ist eine Insel" (John Donne), seine Haut ist nicht seine Grenze. Der Mensch ist ein Element unteilbar von seinen Mitmenschen, in der Tat, von der gesamten Menschheit und ihrer Geschichte. Nicht mal sein Tod trennt ihn vom Universum.
  8. Würde die weltweite Gesellschaft bloß vernünftig sein, könnte das schon erreichte Wissen der Menschheit ein Paradies aus dieser Erde machen. Dass sie in der Tat kein Paradies ist, liegt eben nicht daran, dass wir nicht genug wissen.
  9. „Wissen ist besser als Ignoranz“ (Herbert Simon) – Ja, aber nicht um jedem Preis oder in jedem Kontext.
  10. Metaphern und Analogien, indem sie disparate Kontexte zusammenfügen, bringen neue Einsichten hervor. Fast all unser Wissen, einschließlich des wissenschaftlichen, ist metaphorisch. Deswegen auch nicht absolut.**
  11. Information ist weder Material noch Energie. Es ist immer eine äußerst private Leistung, nämlich der Interpretation, deren Ergebnis Wissen ist. Information hat, wie, zum Beispiel, die Aufführung eines Tanzes, keine Permanenz. Das Maß der Wahrheit des produzierten Wissens hängt von der Qualität der angewandten Interpretation ab. Kritisches Denken fördert Qualität.***
  12. Die höchste Priorität der Schule ist, den Schülern ihre eigene Sprache bei zu bringen, so dass sie sich klar und deutlich artikulieren können: als erstes in ihrer stillen Gedankenwelt, und auch mündlich und schriftlich. Wenn sie das können, dann können sie auch kritisch denken und die Signale, mit den ihre Welt sie überflutet, kritisch interpretieren. Wenn nicht, dann werden sie ihr ganzes Leben Opfer der Klischees und Schablonen, die die Massenmedien ausschütten.
  13. Es ist nicht möglich, eine feste Grenze, weder zwischen Gut und Böse noch zwischen Tag und Nacht, zu zeichnen. Aber der Unterschied zwischen Mittag und Mitternacht ist deutlich. Der Mensch kann wissen ob sein Tun und Handeln eher im Rahmen des Tageslichts oder der Nacht ist und sich entsprechen verhalten. Doch sicher ist, dass Krieg, Armut und Hunger, unter denen ein Drittel der Menschheit leidet, die massiv ungleiche Verteilung der Ressourcen der Natur, all dies Mitternacht ist. Hass ist Mitternacht. Liebe ist Mittag.
  14. Der Glaube, dass man das Böse aus der Mitte des Bösen besser als von Außen verändern kann, ist irre und selbstvernichtend.
  15. Die Erfindung der Atombombe leitete eine Diskontinuität in der Geschichte der Menschheit ein. Davor war die totale Auslöschung der Bevölkerung der Erde unmöglich. Heute ist es möglich. Deswegen ist es illegitim, Handlungen zu verteidigen mit dem Argument, dass sie doch immer effektiv waren, zum Beispiel, dass es doch immer Armut, Kriege, Meister und Sklaven gab.
  16. „Alles ist sagbar in Worten, nur nicht die lebende Wahrheit“. (Ionescu)
  17. Gott - gibt es denn Gott - ist Liebe, und Liebe ist in uns allen. Das Gebet ist die Suche eines Menschen, seine innere Liebe zu finden und, sei es um inneren Frieden und Ruhe zu erreichen, eine Not ertragen zu können, sich zu trösten oder ein Weg, einen anderen zu helfen zu finden, was auch immer.
Kommentar

  • *) Die, deren zentrale Metaphern zum Beispiel der Hammer, der Computer ist, entwickeln manche merkwürdige Überzeugungen. Beispiele: Ein Phänomen wirklich zu verstehen bedeutet, es als Computerprogramm modellieren zu können. Jeder Aspekt der Realität ist berechenbar. Der Mensch ist in seiner Essenz ein Computer. Das Gehirn ist bloß eine fleischliche („Meat“ nach Minsky) Maschine. Der Mensch ist in Essenz eine Menge von Information, d. h. eine lange Bitkette, sein Körper ist eine Art Gelee, dessen Funktion es ist, die Bitkette ordentlich zu speichern (Moravec). Der Mensch kann in einen Roboter geladen (downloaded) werden. Der so geladene Roboter ist dann dieser Mensch.
  • **) Ein Beispiel der Anwendung von Metaphern in der Naturwissenschaft: Ein schwarzes Loch ist ein Stern, dessen Anziehungskraft so stark ist, dass keine Information entfliehen kann. Aber buchstäblich ist so ein Stern nicht „schwarz“, noch ist es ein „Loch“ und Information, d. h. elektromagnetische Teilchen, „entfliehen“ den ordinären Sternen nicht. 
  • ***) Information, so wie die Aufführung eines Tanzes, hat keine Permanenz, es ist eben weder Materiell noch Energie.

    [Interpretation(Signale) = Information -> Wissen)]

    Nur Wissen überlebt, nämlich indem es den denkenden Menschen buchstäblich informiert, den Zustand (state) seines Gehirns, ändert.

    Claude Shannons Informationstheorie lehrt, dass die Bedeutung einer Nachricht von dem Zustand, d. h., die Erwartung, des Empfängers abhängt. Sie ist nicht messbar, denn Nachrichten sind pure Signale, die keine inhärente Bedeutung bergen.

    Enthält das New Yorker Telefonbuch Information? Nein! Es besteht aus Texten die, um zu Information und dann zum Wissen konvertiert werden sollen, interpretiert werden müssen. Der Leser erwartet, dass gewisse Inhalte Namen, Adressen und Telefonnummern repräsentieren. Enthält dieses Telefonbuch die Information, dass Armenier, zum Beispiel, zum großen Teil  nah bei einander wohnen? Nein. Aber jemand, der weiß, dass die Namen, z. b., Hagopian, vieler Armenier in „ian“ enden, und der die Texte des Telefonbuchs im Licht dieser Hypothese interpretiert kann, sicherlich mit Hilfe eines Computerprogramms, die entsprechenden Daten isolieren, ihre Postleitzahlen sortieren, usw..

    Gregory Bateson hat mal gesagt, Information sei eine Differenz, die einen Unterschied verursacht. Datenmengen können nicht zu Wissen konvertiert werden.Eine gute Frage zu formulieren ist wie ein Experiment in der Physik zu entwickeln.

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