Samstag, 7. Januar 2012

Anspruch der Philosophie

Das Problem

Man kann heute leicht den Eindruck gewinnen, Philosophie habe nicht mehr viel zu sagen.
Sie spielt keine Rolle auf der öffentlichen Bühne, und trägt tatsächlich nicht mehr viel zum öffentlichen Diskurs, auch in Feuilletons, bei. Es gibt löbliche Versuche, dies zu ändern. Kürzlich sind beispielsweise zwei neue deutschsprachige Philosophie-Magazine erschienen. Dann gibt es Sendungen wie das Philosophische Quartett und so lobenswerte Mittler wie Sloterdijk und Safranski, die das Abenteuer Philosophie erlebbar machen.

Die Ursachen

Dass das aber alles nicht recht reicht, hat verschiedene Gründe:
Philosophie ist eine von vielen Disziplinen an den Universitäten. Im Rennen um Drittmittel schneidet sie im Allgemeinen nicht besonders gut ab. Sie liefert nicht unbedingt unmittelbar verwertbare Erkenntnisse, ihr Resultat kann zu Beginn von Untersuchungen, wenn sie wirklich philosophisch sind, nicht eingegrenzt werden. Ihr auf die Dauer von Menschenleben angelegter Erkenntnisprozess, an dessen Ende und in dessen Verlauf nicht immer der Erfolg steht, passen nicht zur Schnelllebigkeit und Erfolgsorientiertheit der heutigen Zeit. Genausowenig wie ihre Forderung zur gründlichen, schrittweisen und mühsamen Durchdringung der Welt entlang verschiedener Grundmotive – Die Entkontextualisierung von Wissen bis hin zur Verstümmelung zur bloßen Informationen (welche dann mit “Wissen” verwechselt wird) steht ihr entgegen. Schließlich meinen auch die Philosophen selbst, nicht mehr viel zu sagen zu haben. Philosophie sei nur noch eine Hilfswissenschaft (wenn auch zweiter Ordnung, und dabei allen anderen Wissenschaften erster Ordnung vorgelagert), oder wäre nur noch Fragment, wie die Frankfurter Schule um Adorno betont.
Etwas zur Welt insgesamt zu sagen zu haben (diesen Anspruch sollte Philosophie meiner Meinung nach wie vor haben), wird meist mit den großen Systematikern assoziiert, die gescheitert sind: Beispiele jüngeren Datums sind Hegel oder Marx. Daraus wird voreilig der Schluss gezogen, Philosophie könne keinen universalen Anspruch mehr haben.

Die Gegenstimme

Dass es noch eine Variante zu den Systematikern gibt – und damit der Anspruch der Philosophie gerettet werden kann, zeigt eindrücklich der große italienische Renaissancephilosoph Pico della Mirandola. In seinem universalen Entwurf “De hominis dignitate”, “Von der Würde des Menschen”, skizziert er eindrücklich, dass alle philosophischen Denkschulen mit allen Weltreligionen harmonisierbar oder vereinbar sind – und mit unterschiedlichen Worten und Bildern das selbe sagten. Dabei folgt er Pythagoras, der Philosophie als Stifterin universaler Freundschaft begriff – und begeht nicht den Fehler, eine analytische Sprache anzuwenden, die zerstückhakt und dabei die großen Linien und den Universalgedanken aus den Augen verliert. Stattdessen schreibt er literarisch – und nicht ohne den wissenschaftlichen Anspruch der Klarheit. Ein Probiererchen:
Die chaldäischen Erklärer schreiben, Zarathustra habe oft gesagt, die Seele habe Flügel, und wenn diesen die Federn ausfielen, so stürze sie jählings in einen Körper, und wüchsen sie dann wieder nach, fliege sie zu den Himmlischen zurück.
(Pico della Mirandola, De hominis dignitate, Reclam Verlag 2005, S. 35)

Und noch etwas: Innerhalb von Picos Gedankengebäude wird offenbar, dass wir ursprünglich nicht zur materiellen Welt gehören, weil wir wesentlich eine geistig-seelische Substanz sind, deren Kern wiederum unsterblich ist. Ein tröstender Gedanke.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen